Typisch Uni - oder gibt es das auch woanders? Systemische Konflikte an Hochschulen und warum es gut ist, sie zu kennen
Neue Mitarbeitende, die aus anderen Branchen an die Uni wechselten, nehmen die Spezifika deutlich wahr: Das ist anders hier. Aber was ist das Spezifische?
Studien über Hochschulen beschreiben die spezifischen Strukturen und die systemisch bedingten Konflikte folgendermaßen: Zunächst einmal besteht die Herausforderung, zwei unterschiedliche Organisationstypen mit unterschiedlichen Funktionslogiken unter einem Dach zu vereinen: die Verwaltung und die Wissenschaft. Der Bereich der Verwaltung ist durch eine starke Formalisierung, eine arbeitsteilige Organisation und eine klare Entscheidungshierachie von oben nach unten gekennzeichnet. Der Bereich der Wissenschaft ist dagegen durch eine geringe Formalisierung, eine Selbstorganisation und hohe Prozessautonomie gekennzeichnet. Mitarbeitende in der Verwaltung arbeiten weisungsgebunden und müssen Gesetz und Vorschriften einhalten und die Einhaltung prüfen. Ihr Arbeitsalltag gibt Verhaltensregeln vor, es gibt Strukturen, Prozesse und Abläufe. Diesen Grad an Formalisierung des Arbeitsalltags gibt es nicht im Bereich der Wissenschaft. Strukturen, Rollen und Aufgabenklarheit sind hier weniger bedeutsam. Im Vordergrund stehen Forschung und Lehre. Neue Forschungsergebnisse werden gerade in kreativer und autonomer Weise entwickelt.
Beruflicher Werdegang und Sozialisation unterscheiden sich in den Herausforderungen und Anforderungen an Konfliktbereitschaft und -fähigkeit: In der Sozialisation zur Wissenschaftlerin/zum Wissenschaftler wird der Streit ("Disput") um den richtigen inhaltlichen Ansatz und das angemessene forschungsmethodische Vorgehen ausgebildet. Der Umgang mit Streit, Abgrenzungen und Wettbewerb wird im Verlaufe der Zeit weiterentwickelt. Die Abgrenzung zum bestehenden Forschungsstand und die Einzigartigkeit der Arbeit müssen in Dissertations- und Habilitationsprozessen vollzogen werden. In den Verwaltungsbereichen sind andere Fähigkeiten unabdingbar: Der Wettbewerb um das neueste und beste Vorgehen und das Darlegen von Alleinstellungsmerkmalen ist nicht erwünscht. Stattdessen wird konfliktarme, konsensuelle Teamarbeit und ein zügiges Abarbeiten von bekannten Aufgaben in bewährten Routinen erwartet.
An den Schnittstellen von Verwaltung und Wissenschaft kann es unabhängig von den konkreten Persönlichkeiten zu Missverständnissen, Irritationen, Konflikten kommen. Zwei Beispiele sollen dies veranschaulichen:
Beispiel 1: So überrascht es eine neue Assistenz, dass ihre Professorin/ihr Professor verwaltungsbezogene Termine und Fristen wenig beachtet und kaum bedenkt, welche Verwaltungsschritte vollzogen werden müssen, um neue Mitarbeitende einzustellen. Die Professorin/Der Professor wiederum möchte von den Verwaltungsthemen entlastet werden, weil sie/er zu viele Termine und Anforderungen hat und sie/ihn vorrangig ihre/seine Vorlesungsthemen, Projektanträge und wissenschaftliche Artikel beschäftigen. So möchte sie/er nicht auch noch das Teammeeting und die Weihnachtsfeier organisieren und überträgt solche Aufgaben der Assistenz. Ihre/Seine urprüngliche Überraschung verwandelt sich nach und nach in dauerhafte Enttäuschung und Verärgerung.
Beispiel 2: Eine Professorin/Ein Professor wendet sich an die Dienstreiseserviceabteilung und wünscht sich, dass sie/er möglichst wenig Zeit aufwenden muss. Die zuständige Mitarbeiterin/Der zuständige Mitarbeiter hält sich an ihre/seine Vorschriften, stellt weitere Fragen und schickt Formulare zum Ausfüllen, die teilweise schwer verständlich sind. Unvollständig ausgefüllte Formulare machen dem Verwaltungsmitarbeitenden viel Arbeit und der Vorgang verzögert sich. Im Telefonat treffen die beiden Welten wahrscheinlich unangenehm aufeinander.
Im Bereich der Wissenschaft kommt das Führen auf Zeit als systemischer Aspekt hinzu. Regelmäßig wechseln die Dekaninnen/Dekane, ebenso die Fachbereichsleitungen alle zwei Jahre. Jede Leitung füllt das Amt anders aus. Professorinnen und Professoren, die diese Ämter das erste Mal übernehmen, haben sich bis zu diesem Zeitpunkt oft kaum mit Fragen von Führen, Kommunikation, Arbeitsorganisation etc. beschäftigt. Für die Verwaltungsmitarbeitenden kann dieser Leitungswechsel zu Irritationen oder Anpassungen führen, die auch Konflikte mit sich bringen können. In der Konfliktberatung höre ich häufig:„Bisher lief es bei uns doch ganz gut. Nun soll ich alles anders machen. Meine Arbeitssituation hat sich deutlich verändert!"
Spannungsfelder sind nicht nur zwischen den Bereichen Wissenschaft/Verwaltung gegeben. Ebenso gibt es innerhalb der Wissenschaft Ressourcen- und Verteilungskonflikte in den Fachbereichen und Instituten. Viele Forschende identifizieren sich mit ihrer Arbeit an der Universität und sind persönlich stark verbunden mit ihren Forschungsthemen und in ihren Ansprüchen an Emanzipation, Gerechtigkeit, Bildung und Demokratie. Das bietet den Boden für Wertkonflikte sowie von inhaltlichen Auseinandersetzungen wie der Frage, wie mit Mitarbeitenden oder Studierenden umgegangen werden sollte. Aber auch Fragen wie man sich kollegial unterstützt, was freundlich, kollegial und gerecht sei. Alle diese Konfliktarten sind sowohl im Bereich der Wissenschaft als auch in der Verwaltung zu finden.
Hinzu kommen Konflikte, die mit der Organisationskultur zusammenhängen und mit der Klarheit über Rollen und Aufgaben. Unklare Rollen und Verantwortlichkeiten können Probleme mit sich bringen. So sehen sich Professorinnen/Professoren nicht immer in der Verantwortung, ihre wissenschaftlichen Mitarbeitenden zu führen. Die Folge kann sein, dass diese sich nicht ausreichend wertgeschätzt sehen und es zu äußeren Konflikten zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden oder inneren Konflikten im Sinne von Demotivationen etc. kommen kann.
Die Freiheit von Forschung und Lehre ist systemisch wirkmächtig mit Auswirkungen auf Einstellungen und Verhalten auch nicht wissenschaftlichen Beschäftigten. Und schließlich kann der familiäre Charakter in den Arbeitsgruppen/Instituten direkte Kommunikation erschweren und unklare Rollen und Aufgaben mit sich bringen.
Resümee:
Das Wissen um systemische Konflikte kann unterstützen, konfliktverursachende Situationen frühzeitig zu erkennen und gute Lösungen zu finden. Es kann auch entlasten, wenn im eigenen Bereich viele Konflikte zu Tage treten. Denn es liegt nicht nur an Personen und persönlichem Verhalten. Konflikte sind da, ob wir wollen oder nicht und weisen in der Regel auf wichtigen Handlungsbedarf hin.
Zur Vertiefung dieses Themas wenden Sie sich gerne an die Konfliktprävention und -beratung.