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6. September 2016, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
Schon die Nichteinladung eines Schwerbehinderten zum Vorstellungsgespräch kann eine Diskriminierung begründen. Im öffentlichen Dienst sind die Anforderungen an eine Gleichbehandlung Schwerbehinderter besonders hoch. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte diesen Grundsatz in einem aktuellen Urteil.
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Insbesondere öffentliche Arbeitgeber müssen bei Stellenausschreibungen und den Bewerbungsverfahren besondere Vorsicht walten lassen müssen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat jetzt mit einer neuen Entscheidung (BAG, Urteil vom 11.08.2016, 8 AZR 375/15) ein weiteres Mal bestätigt, wie hoch es den Schutz schwerbehinderter Stellenbewerber vor möglicher Benachteiligung ansetzt:
In dem konkreten Verfahren ging es um einen schwerbehinderten Stellenbewerber, der sich auf eine von einer hessischen Kommune ausgeschriebenen Stelle beworben hatte. Er war jedoch von der Kommune, obwohl diese die Schwerbehinderung sowie den ausführlichen Lebenslauf zur Kenntnis genommen hatte, nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden – entgegen der gesetzlichen Regelung des § 82 Satz 2 SGB IX. Aufgrund fehlender Nachweise insbesondere bzgl. der erforderlichen langjährigen Führungserfahrung hielt die Kommune den Bewerber für „offensichtlich ungeeignet“ für die Position.
In Einklang mit den Entscheidungen der Vorinstanzen widersprach auch das BAG dieser Argumentation. Allein die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch begründe demnach die Vermutung, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung aus dem Auswahlverfahren vorzeitig ausgeschieden sei und dadurch benachteiligt wurde. Das BAG hat jetzt bestätigt: Im öffentlichen Dienst kann schon alleine die Nichteinladung eines Schwerbehinderten zum Vorstellungsgespräch eine Diskriminierung begründen.
Auch § 82 Satz 3 SGB IX befreie hier den öffentlichen Arbeitgeber nicht von der Verpflichtung, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Da der Stellenbewerber u.a. seinen ausführlichen Lebenslauf der Bewerbung beigefügt hatte, durfte die Stadt aufgrund dieser Angaben nicht davon ausgehen, dass dem Stellenbewerber die erforderliche fachliche Eignung offensichtlich fehlte.
Mit dieser Entscheidung zeigt sich, wie schnell öffentliche Arbeitgeber beim Umgang mit behinderten Bewerbern in den Verdacht der Diskriminierung geraten können: Allein die Überlegung des Arbeitgebers im ersten Sichtungsprozess eines Bewerbungsverfahrens, eine Bewerbung sei nicht aussagekräftig genug bzw. oder erfülle nicht alle der geforderten Stellenanforderungen, reicht demnach in der Regel nicht aus, einem schwerbehinderten Stellenbewerber abzusagen. Ihm muss Gelegenheit gegeben werden, den Arbeitgeber in einem persönlichen Vorstellungsgespräch von seiner Eignung zu überzeugen. Der Spielraum des öffentlichen Arbeitgebers bei der Auswahl der Bewerber ist hier aufgrund des § 82 SGB IX sowie insbesondere auch vor dem Hintergrund des Artikels 33 Absatz 2 Grundgesetz stark eingeschränkt wonach jedem Bewerber nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung der gleiche Zugang zu einem öffentlichen Amt gewährt werden muss.
Für öffentliche Arbeitgeber bedeutet dies, dass in allen Fällen, in denen nicht tatsächlich offensichtlich erkennbar ist, dass dem Stellenbewerber die fachliche Eignung fehlt, ein schwerbehinderter Stellenbewerber in jedem Fall zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden sollte. Lediglich Zweifel an der Eignung des Bewerbers reichen für eine Absage jedenfalls nicht aus – zumindest, wenn die Arbeitgeberseite das Risiko späterer Entschädigungsklagen vermeiden möchte. Darüber hinaus sollten Arbeitgeber generell bei jedem Eingang einer Bewerbung eines Schwerbehinderten, auch bei fachlicher Nichteignung, die Schwerbehindertenvertretung sowie die zuständige Arbeitnehmervertretung unverzüglich benachrichtigen. Schließlich hat das BAG – zwar nicht im vorliegenden Fall, aber in der Vergangenheit – auch die Nichtbeteiligung dieser Gremien als ein Indiz für eine Diskriminierung qualifiziert.
Darüber hinaus sollten alle Arbeitgeber schon bei der Ausschreibung einer Stelle darauf achten, dass sie mit der Formulierung keine Angriffsfläche für mögliche Schadensersatzklagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz bieten. Aufgrund der Beweislastumkehr, welche in einem solchen Verfahren Anwendung findet, muss der Bewerber lediglich Indizien vortragen, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Dies wird ihm regelmäßig unter Vorlage einer diskriminierenden Stellenausschreibung gelingen. Allein die Formulierung, der Stellenbewerber solle „belastbar“ sein, kann hier nach der Rechtsprechung ausreichen. Im gerichtlichen Verfahren ist dann der Arbeitgeber in der Pflicht, unter Darlegung von sachlichen Gründen zu beweisen, dass eine Diskriminierung gerade nicht stattgefunden hat. Hierfür muss der Arbeitgeber dann im Zweifel einen nicht gewollten Einblick in seinen Auswahlprozess gewähren. Zudem setzt er sich einem prozessualen Risiko und einer möglicherweise negativen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit aus.