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24. Oktober 2023, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
Ein schwerbehinderter Kläger aus Hamburg hat vom Bundesarbeitsgericht (BAG) eine Entschädigung in Höhe von 7.500, - Euro für eine erlittene Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung zugesprochen bekommen. Das Arbeitsgericht Hamburg und das Landesarbeitsgericht Hamburg hatten die Klage noch abgewiesen.
Der Mann hatte sich bei einem privatwirtschaftlichen Unternehmen unter Angabe seiner Schwerbehinderung beworben. Als der Bewerber eine Absage erhielt, führte er diese auf seine Behinderung zurück. Er erhob Klage und warf dem Unternehmen vor, den Betriebsrat nicht entsprechend § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX unverzüglich über seine Bewerbung informiert zu haben. Der schwerbehinderte Bewerber konnte dafür keine konkreten Anhaltspunkte darlegen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Diese Pflichtverletzungen sind nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (ständige Rspr., z.B. BAG 19.01.2023 – 8 AZR 437/21 Rn. 33).
Da § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX zu den Vorschriften gehört, die Verfahrenspflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet der Verstoß der Arbeitgeberin gegen § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Vermutung, dass der Stellenbewerber eine unmittelbare Benachteiligung iSv § 3 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen der Schwerbehinderung erfahren hat.
Das AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen eine Erleichterung der Darlegungslast vor. Wenn im Streitfall eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen einer Behinderung vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (ständige Rspr., z.B. BAG 19.01.2023 – 8 AZR 437/21 Rn. 31).
Der Stellenbewerber durfte die Behauptung, die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat nicht entsprechend § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX unterrichtet, auch in den Rechtsstreit einführen, obwohl er dies nur vermutete. Er durfte diese von ihm nur vermutete Tatsache behaupten, weil er mangels eigener Erkenntnisquellen keine sichere Kenntnis von einer fehlenden ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats hatte und auch nicht erlangen konnte (vgl. BAG 01.07.2021 – 8 AZR 297/20 Rn. 35). Insoweit handelt es sich nämlich um tatsächliche Verhältnisse in der Sphäre der Arbeitgeberin, in die der Stellenbewerber keinen Einblick hatte und sich zumutbar auch keinen Einblick verschaffen konnte. Vor diesem Hintergrund konnte von dem Kläger der Vortrag greifbarer Anhaltspunkte für seine Vermutung nicht verlangt werden.
Zwar kann der Arbeitgeber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Vermutung, er habe die klagende Partei wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. wegen der Schwerbehinderung benachteiligt, grundsätzlich dadurch widerlegen, dass er substantiiert dazu vorträgt und ggf. auch beweist, dass er bei der Behandlung aller Bewerbungen nach einem bestimmten Verfahren vorgegangen ist, das eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bzw. der Schwerbehinderung ausschließt. Diese Voraussetzungen erfüllte der Vortrag der Arbeitgeberin in diesem Fall jedoch nicht. Die vom erfolglosen schwerbehinderten Bewerber vermutete Tatsache eines Verstoßes des Arbeitgebers gegen die Vorschrift, dass der Betriebsrat nicht den Vorgaben des § 164 Absatz 1 Satz 4 SGB IX entsprechend über die Bewerbung unterrichtet wurde, hat die Arbeitgeberin im Verfahren nicht widerlegt.
Quelle: https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/8-azr-136-22/
Die nach dem Bundesarbeitsgerichtsurteil geltende erleichterte Darlegungslast für erfolglose Bewerber mit Schwerbehinderung müsste erst recht gelten, wenn die Stellenbewerbenden vermuten, dass die Schwerbehindertenvertretung nicht ordnungsgemäß am Bewerbungsverfahren beteiligt wurde.