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15. November 2023, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
Vor Kündigung eines schwerbehinderten Beschäftigten muss der Arbeitgeber diesem einen alternativen, behindertengerechten Job auf einem freien Arbeitsplatz im Unternehmen anbieten. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (LAG) hat jetzt entschieden, dass dazu nicht nur freie Arbeitsplätze zählen, sondern auch Arbeitsplätze berücksichtigt werden müssen, die der Arbeitgeber „treuwidrig“ besetzt hat.
Konkret ging es um eine Assistentin einer Marktleitung im Einzelhandel mit Gleichstellung. Die Frau war länger erkrankt und BEM-Gespräche fanden statt. Zwischenzeitlich war die Frau immer wieder arbeitsfähig und bekundete ihr Interesse an einer Qualifizierung zur Bürokraft. Nach einer Reha wurde ihr per Gutachten eine grundsätzliche Arbeitsfähigkeit bescheinigt, aber nur mehr für eine sitzende Tätigkeit. Es fand eine mehrmonatige Qualifizierung der Frau zur Bürokraft statt. Offene Stellen in der Verwaltung wurde zwischenzeitlich von anderen Beschäftigten besetzt. Im Rahme einer weiteren BEM-Maßnahme kam der Arbeitgeber zum Schluss, dass der Gesundheitszustand der Frau weiter negativ sei und kündigte die Frau mit Zustimmung des Integrationsamtes.
Das LAG entschied, dass die Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt und somit unwirksam ist.
Der Arbeitgeber der Frau wäre vor Ausspruch der Kündigung grundsätzlich verpflichtet gewesen, ihr eine, ggf. auch vertragsfremde, behinderungsgerechte Tätigkeit auf einem freien Arbeitsplatz anzubieten, sofern sie ihre ursprünglich vereinbarte arbeitsvertragliche Tätigkeit nicht mehr ausüben kann.
Das LAG hat nun entschieden, dass ein freier Arbeitsplatz in diesem Zusammenhang nicht nur ein unbesetzter Arbeitsplatz ist, sondern dazu auch Arbeitsplätze gehören, die der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung der Frau treuwidrig im Sinne von § 162 BGB anderweitig besetzt hat.
Daran hat sich der Arbeitgeber im konkreten Fall nicht gehalten, obwohl eine behindertengerechte Weiterbeschäftigung der Frau als milderes Mittel im Vergleich zu der Kündigung möglich und zumutbar gewesen wäre. Denn während der gesamten Dauer der Krankheits- und BEM-Geschichte der Frau hätte dem Arbeitgeber klar sein müssen, dass sie ihre bisherigen Aufgaben nicht mehr schaffen würde und irgendwann eine krankheitsbedingte Kündigung ansteht. Die Nichtberücksichtigung der Frau bei der Besetzung der Verwaltungsstellen wirkt sich negativ für den Arbeitgeber aus.
Konkret heißt es im Urteil dazu:
„Besteht in dem Zeitpunkt, in dem er mit dem Wegfall des bisherigen Beschäftigungsbedürfnisses rechnen muss, eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu gleichen oder zumutbaren geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz, kann der Arbeitgeber diese nicht dadurch zunichtemachen und den Kündigungsschutz des Arbeitnehmers dadurch leerlaufen lassen, dass er erst die freie Stelle besetzt und danach eine Beendigungskündigung wegen fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ausspricht.“