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15. Dezember 2023, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
Eine gleichgestellte Mitarbeiterin, die über 20 Jahre in einer Firma angestellt war, erkrankte Anfang 2021 und war 9 Monate wegen Rückenbeschwerden arbeitsunfähig. Nach einer Reha-Maßnahme äußerte sie in einem BEM-Gespräch im September 2021 den Wunsch, in eine Bürotätigkeit zu wechseln und sich diesbezüglich weiter zu qualifizieren, da sie ihre bisherige Tätigkeit (Kasse, Kühltheke, Schließdienst) aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben könne – dies wurde u.a. vom Betriebsarzt fest-gestellt und der Arbeitgeberin vorgelegt. Gleichzeitig schrieb die Arbeitgeberin eine Stelle als Bürokaufmann/-frau aus, für die sich die erkrankte Mitarbeiterin interessierte. Daraufhin wurde ihr gesagt, sie könne sich bewerben, die Stelle sei jedoch zeitlich begrenzt.
Die Mitarbeiterin absolvierte eine neunmonatige berufliche Reha inklusive mehrerer Praktika. In der Schlussphase dieser Maßnahme fand Anfang Juli 2022 ein weiteres BEM-Gespräch mit der Arbeitgeberin bezüglich des unveränderten Gesundheitszustandes der Mitarbeiterin statt. Die Arbeitgeberin beantragte kurz danach die Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt und kündigte die Mitarbeiterin ordentlich zu März 2023.
Die Mitarbeiterin legte Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein. Das Arbeitsgericht sah die Kündigung als sozial ungerechtfertigt an. Die Mitarbeiterin habe bereits im ersten BEM-Gespräch 2021 ihren Wunsch nach einer künftigen Bürotätigkeit benannt und die betriebsärztliche Empfehlung war, ihr eine Beschäftigung für eine sitzende Bürotätigkeit einzuräumen, sobald sich ihr Gesundheitszustand stabilisiert habe. Zu dieser Zeit habe die Arbeitgeberin über wenigstens zwei mittelfristig freie Bürostellen verfügt. Da die Mitarbeiterin im Rahmen ihrer Reha-Maßnahme mehrere Büropraktika absolviert habe, wäre sie einer Wiedereingliederung in eine Bürotätigkeit körperlich gewachsen gewesen.
Aufgrund ihrer langjährigen Firmenzugehörigkeit habe die Arbeitnehmerin eine gesteigerte Rücksichtnahme auf ihre Befindlichkeit erwarten dürfen. Mit der Vergabe der freien Stellen an weniger schutzwürdiges Personal habe die Arbeitgeberin treuwidrig gehandelt, insbesondere, da die Mitarbeiterin im zweiten BEM-Gespräch von den absolvierten Praktika erzählt habe. Daher habe die Arbeitgeberin das BEM-Verfahren nicht einseitig abschließen können, ohne die betriebsärztliche Empfehlung zur Wiedereingliederung in eine Bürotätigkeit auszuloten.
Die Arbeitgeberin legte gegen das Urteil Berufung ein.
Das Landesarbeitsgericht bestätigte das Urteil der ersten Instanz und führte dazu allgemein aus:
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei es dem Arbeitgeber verwehrt, sich darauf zu berufen, im Kündigungszeitpunkt sei eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht mehr vorhanden, wenn er diesen Wegfall selbst treuwidrig herbeigeführt habe.
Soweit in dem Zeitpunkt, in dem er mit dem Wegfall der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit rechnen musste, eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu gleichen oder zumutbaren geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz bestanden habe, dürfe der Arbeitgeber diese nicht dadurch zunichtemachen - und den Kündigungsschutz eines Mitarbeiters dadurch leerlaufen lassen-, dass er erst die freie Stelle besetze und danach eine Beendigungskündigung wegen fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ausspreche.
Ein treuwidriges Verhalten liege im vorliegenden Fall insbesondere darin, dass für die Arbeitgeberin zum Zeitpunkt der Stellenbesetzung das Auslaufen der Beschäftigungsmöglichkeiten für die später gekündigte Mitarbeiterin bereits absehbar war. Wenn die Arbeitgeberin der Mitarbeiterin vor Ausspruch der Kündigung angeboten hätte, ihren Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzupassen, und hätte die Mitarbeiterin dies abgelehnt, so wäre die Arbeitgeberin gleichwohl dazu verpflichtet gewesen, das abgelehnte Angebot erneut im Wege der Änderungskündigung anzubieten.
Eine Beendigungskündigung sei nur dann zulässig, wenn die Mitarbeiterin unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hätte, sie werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Fall des Ausspruches einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung, annehmen.
Diese für Fälle betriebsbedingter Kündigungen entwickelten Grundsätze fänden in gleicher Weise bei krankheitsbedingten Kündigungen Anwendung.
Soweit die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gegenüber einer Beendigungskündigung die einzige Alternative darstelle, habe ein Arbeitgeber sie einem schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Mitarbeiter regelmäßig anzubieten, ohne dass er sich über die Zumutbarkeit der neuen Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer Gedanken zu machen brauche. Vorliegend hätte die Mitarbeiterin entscheiden müssen, ob sie für den Fall einer Änderungskündigung zu den angebotenen neuen Arbeitsbedingungen tätig werden oder die Änderungskündigung zumindest unter Vorbehalt hätte annehmen wollen.