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9. April 2025, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
Eine Gesundheits- und Krankenpflegerin mit GdB 40 wegen verschiedener Gesund-heitsstörungen (u. A. Hörminderung, Gleichgewichtsstörungen, Funktionseinschränkun-gen der Wirbelsäule, Funktionseinschränkungen beider Ellbogen, Funktionseinschrän-kung der unteren Extremitäten) arbeitete zunächst beim Universitätsklinikum W, wo sie mehrfach einen Antrag auf Gleichstellung stellte, weil das Universitätsklinikum W. verweigerte, ihr einen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.
Die Agentur für Arbeit lehnte die Anträge mit der Begründung ab, dass sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der Arbeitsplatz aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet sei.
Dagegen legte die Krankenpflegerin Widerspruch ein, insbesondere wegen Auseinandersetzungen mit dem Universitätsklinikum W im Rahmen derer ihr nahegelegt worden sei, sich einen anderen Arbeitgeber zu suchen. Die Agentur für Arbeit wies den Widerspruch zurück. Hiergegen erhob die Krankenpflegerin Klage, da ihr Arbeitsplatz sehr wohl aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet sei, wie die inzwischen erfolgte Kündigung durch das Universitätsklinikum W. zeige.
Die Agentur für Arbeit machte daraufhin geltend, dass die Gleichstellung nicht mehr zum Schutz dieses Arbeitsplatzes ausgesprochen werden könne, da die Krankenpflegerin ihren Arbeitsplatz beim Klinikum W. verloren habe. Weiterhin habe sie ihren neuen Arbeitsplatz beim Krankenhaus A auch ohne die Gleichstellung erhalten, daher werde diese nicht zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes benötigt. Anhaltspunkte für eine Gefährdung des neuen Arbeitsplatzes lägen nicht vor. Die Krankenpflegerin legte eine Stellungnahme des Betriebsrats des Krankenhaus A vor, nach welcher der Arbeitsplatz wegen der Notwendigkeit pflegerischer Tätigkeiten zwar geeignet, aber auch gefährdet sei.
Das Sozialgericht verurteilte die Agentur für Arbeit, die Krankenpflegerin unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen. Die Voraussetzungen für die Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX seien gegeben. Die Tätigkeit der Klägerin als Gesundheits- und Krankenpflegerin sei aufgrund der Notwendigkeit, feinmotorische Arbeiten, Arbeiten mit Kraftentfaltung der Hände und dem Heben und Tragen von Lasten sowie Arbeiten im Nachtdienst zu vermeiden, eingeschränkt. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei nach der Auskunft des Betriebsrats auch aufgrund der Notwendigkeit, grundpflegerische Arbeiten durchzuführen, gefährdet. Der aktuelle Arbeitsplatz sei ebenfalls gefährdet, auch wenn die Arbeitgeberin derzeit auf die Einschränkungen der Klägerin Rücksicht nehme. Der Arbeitsplatz sei nicht ungeeignet, weil die Klägerin mit Schmerzmitteln ihre Arbeit verrichten könne.
Die Agentur für Arbeit ging in Berufung mit dem Argument, der Arbeitsplatz der Klägerin sei nicht aus gesundheitlichen Gründen gefährdet. Der Arbeitgeber nehme Rücksicht auf die Einschränkungen der Klägerin. Während des Berufungsverfahrens wurde eine arbeitsmedizinische Untersuchung der Krankenpflegerin durchgeführt. Der Arzt bejahte ohne nähere Begründung die Voraussetzungen einer Gleichstellung.
Das Landessozialgericht wies die zulässige Berufung der Arbeitsagentur als unbegründet zurück.
Die Krankenpflegerin sei zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens in Vollzeit auf einem Arbeitsplatz iSd § 156 Abs. 1 SGB IX beschäftigt. Sie konnte (W) und könne (A) infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht behalten iSd § 2 Abs. 3 Alt. 2 SGB IX und habe daher Anspruch auf die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.
Das Landessozialgericht führte dazu aus:
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung eines Gleichstellungsbegehrens sei wegen der Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Antragsstellung (§ 151 Abs. 2 Satz 2 SGB IX) zwar in erster Linie dieser Zeitpunkt. Allerdings müsse beachtet werden, ob in der Folgezeit die Voraussetzungen für eine Gleichstellung entfallen seien. Der behinderte Mensch dürfe grundsätzlich durch die geschuldete Arbeitsleistung nicht gesundheitlich überfordert werden. Auf der anderen Seite führe das Auftreten oder Hinzutreten einer behinderungsbedingten Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens für sich genommen noch nicht zum Wegfall der Geeignetheit des Arbeitsplatzes. Die Geeignetheit des Arbeitsplatzes bestimme sich individuell-konkret nach dem Eignungs- und Leistungspotential des behinderten Menschen. Die Bundesagentur für Arbeit habe die konkreten Behinderungen und ihre Auswirkungen auf die Eignung des behinderten Menschen für den konkreten Arbeitsplatz zu ermitteln. Danach müsse sie entscheiden, ob der Arbeitsplatz entweder schon für sich betrachtet geeignet sei oder jedenfalls durch Umsetzung von Leistungen der Rehabilitationsträger oder des Arbeitgebers so gestaltet werden könne, dass der behinderte Mensch die Anforderungen des Arbeitsplatzes erfüllen kann, ohne seinen Gesundheitszustand zu verschlechtern. Bei der Prüfung der Geeignetheit eines Arbeitsplatzes seien auch die Rechtspflichten der Rehabilitationsträger zur Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben sowie die Rechtspflichten des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Die Geeignetheit eines Arbeitsplatzes könne nicht bereits dann verneint werden, wenn einzelne Tätigkeiten nur erschwert verrichtet werden können, während das wesentliche Tätigkeitsfeld noch ausgeübt werden kann.
Der behinderte Mensch solle in das Arbeitsleben integriert bleiben. Die Gleichstellung diene dazu, eine ungünstige Konkurrenzsituation am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder die Vermittlungschancen zu erhöhen. Maßgeblich sei allein die Einschränkung der Konkurrenzfähigkeit und die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen. Dann könne der Arbeitsplatz durch die Gleichstellung sicherer gemacht werden. Einer konkret drohenden oder ausgesprochenen Kündigung bedürfe es nicht.
Die Gleichstellung könne neben dem besonderen Kündigungsschutz zudem den Effekt haben, den Arbeitgeber zu einer behinderungsbedingten Gestaltung des Arbeitsplatzes durch technische Ausstattung oder durch eine entsprechende Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu bewegen. Gem. § 164 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX haben die schwerbehinderten Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten. Falls der gleichgestellte Arbeitnehmer den Arbeitgeber durch die Gleichstellung zu einer entsprechenden Gestaltung der Arbeit ver-anlassen könne, diene dies gleichzeitig der Erhaltung des Arbeitsplatzes.
Der Umstand, dass der Arbeitgeber bereit sei, entsprechende Rücksichten zu nehmen, stünde einem Gleichstellungsanspruch nicht entgegen. Der Verzicht der Arbeitgeberin auf Ausübung des Weisungsrechts sei freiwillig. Die Gleichstellung trüge dazu bei, der Krankenpflegerin insoweit zu einer verhandelbaren Rechtsposition zu verhelfen (§ 164 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX).