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28. Mai 2025, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
Eine Labormitarbeiterin, 53 Jahre alt und seit 1991 im Unternehmen, war seit langer Zeit in der Abteilung „Rohstoff/ Betriebslabor“ in Gleitzeit tätig. Sie hat einen Grad der Behinderung von 20 wegen Arthrose vierten Grades in beiden Kniegelenken.
Im April 2022 informierte die Arbeitgeberin die Mitarbeiterin, dass sie ab dem 1. Mai 2022 dauerhaft werktags und sonntags in durchlaufende mehrschichtige Dienste eingeteilt werden würde. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zu der beabsichtigten Maßnahme. Daraufhin leitete die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht Hamburg ein Zustimmungsersetzungsverfahren ein und unterrichtete den Betriebsrat über eine vorläufige Umsetzung der Maßnahme gemäß § 100 Abs. 2 BetrVG. Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Versetzung der Klägerin wurde mit Beschluss des Arbeitsgerichts ersetzt.
Ende April teilte die Arbeitgeberin der Mitarbeiterin schriftlich mit, dass sie ab Mai in vollkontinuierlicher Schicht im Feststofflabor beschäftigt würde. Das Feststofflabor ist in zwei Bereiche unterteilt; der eine Bereich fährt ausschließlich vollkontinuierliche Wechselschicht, in einem anderen Bereich wird ausschließlich in Gleitzeit (Tagesschicht) gearbeitet. Die Mitarbeiterin kam dieser Anordnung unter Vorbehalt zunächst nach und arbeitete seither im Feststofflabor in vollkontinuierlicher Wechselschicht. Im Rahmen der Wechselschicht sind monatlich durchschnittlich 5-6 Nachtdienste zu erbringen. Es schließen sich vier Tage Pause an. Dann folgen wieder zwei Tage Frühschicht, zwei Tage Spätschicht und zwei Tage Nachtschicht.
Die Mitarbeiterin erhob Klage vor dem Arbeitsgericht mit dem Ziel, die Unwirksamkeit der Versetzung festzustellen.
Sie argumentierte, dass ihre bisherige Tätigkeit im Rohstofflabor sich maßgeblich von derjenigen im Feststofflabor unterscheide. Die Arbeitgeberin habe bei ihrer Entscheidung die Grundsätze billigen Ermessens nicht gewahrt, insbesondere habe sie keine angemessene Rücksicht auf Alter und die körperlichen Einschränkungen der Mitarbeiterin genommen. Sie sei aufgrund ihrer Arthrose in vielerlei Hinsicht im Bewegungsapparat eingeschränkt und angehalten, regelmäßig sportliche Übungen zu machen. Aufgrund des Einsatzes in der vollkontinuierlichen Wechselschicht leide sie unter erheblichen Schlafstörungen, die eine starke Verschlechterung der Arthrose bewirkten und weitere gesundheitliche und psychische Probleme nach sich zögen. Aufgrund einer daraus resultierenden Erschöpfung, der extremen Belastung durch den Schlafentzug und des dadurch gestörten Biorhythmus habe sie keine Kraft mehr, regelmäßig ihre Übungen zu machen. Folge sei, dass ihr die Arthrose zunehmend Probleme bereite. Die Arbeitgeberin argumentierte unter Anderem, dass ihr gesundheitliche Einschränkungen der Mitarbeiterin nicht bekannt gewesen seien.
Das Arbeitsgericht Hamburg stellte fest, dass die Versetzung der Mitarbeiterin hinsichtlich der Verpflichtung zu Nachtschichten im Rahmen der vollkontinuierlichen Schicht aufgrund des nicht erfolgten Angebots einer arbeitsmedizinischen Untersuchung gem. § 6 Abs. 3 ArbZG unwirksam sei und hat im Übrigen die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Mitarbeiterin beim Landesarbeitsgericht erfolgreich Berufung eingelegt.
Das Landesarbeitsgericht begründete seine Entscheidung wie folgt: Die unbefristet vorgesehene Zuweisung eines Arbeitsplatzes im Feststofflabor stelle eine Versetzung dar, weil sie neben dem Übergang von Gleitzeit in ein Vollschichtsystem außerdem einen Wechsel der Abteilung umfasse.
Nach § 106 Satz 1 GewO habe der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben. § 106 Satz 3 GewO verpflichte den Arbeitgeber, bei der Ausübung des Weisungsrechts „auch“ auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Die Behinderung müsse nicht den Grad der Schwerbehinderung erreichen, vielmehr gelte jedenfalls der weite Begriff des § 2 Abs. 1 SGB IX.
Da die Arbeitgeberin im vorliegenden Falle die gesundheitliche Situation der Mitarbeiterin und deren Behinderung gar nicht in ihre Entscheidung über die Leistungsbestimmung einbezogen habe, entspreche die Maßnahme nicht billigem Ermessen, so dass nicht von einer Abwägung aller wesentlichen Umstände des Falls und angemessener Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ausgegangen werden könne. Eine Versetzung sei, auch wenn sie die Änderung mehrerer Arbeitsbedingungen beinhalte, eine einheitliche Maßnahme. Im Falle der Unbilligkeit einer Versetzung sei die Versetzung insgesamt unwirksam. Daher sei – anders als vom Arbeitsgericht erfolgt – nicht festzustellen, dass nur einzelne Arbeitsbedingungen unwirksam wären, sondern dem Feststellungsantrag war insgesamt zu entsprechen.
Die Revision wurde nicht zugelassen.
Hinweis: Behinderungen ohne den Status Gleichstellung oder Schwerbehinderung sind in der Regel nicht bekannt. § 6 Abs. 3 ArbZG berechtigt Beschäftigte zu einer arbeitsmedizinischen Untersuchung vor Antritt der Beschäftigung in Nachtschicht. Nach Vollendung des 50. Lebensjahres steht Nachtarbeitnehmern dieses Recht jährlich zu. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Mitarbeitern eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung anzubieten, im Rahmen derer mögliche gesundheitliche Konsequenzen ermittelt werden und deren Erkenntnisse in seine Entscheidung einfließen müssen. Die Mitarbeiterin hatte Anspruch auf diese Vorsorge und hätte vor der Versetzung darüber informiert werden müssen.