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8. Juni 2023, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
Mitte Dezember 2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Urteil zu zwei relevanten Fragen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement Antworten formuliert: Zum einen begründet die Zustimmung des Integrationsamts zu einer krankheitsbedingten Kündigung nicht die Vermutung, dass ein (unterbliebenes) betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) die Kündigung nicht hätte verhindern können, zum anderen ist es dem Arbeitgeber auch ohne eine datenschutzrechtliche Einwilligung möglich und zumutbar, zunächst mit dem beabsichtigten BEM zu beginnen.
Der Fall: Eine langjährige Beschäftigte mit einer Gleichstellung war ab Ende 2014 mehr als 4 Jahre ununterbrochen krank. Auf ihre eigene Initiative hin fand im Mai 2019 ein Präventionsgespräch unter Beteiligung des Integrationsamts statt. Am selben Tag lud die Arbeitgeberin die Mitarbeiterin zu einem BEM ein. Die Mitarbeiterin teilte mit, dass sie an einem BEM teilnehmen wolle, unterzeichnete aber die beigefügte datenschutzrechtliche Einwilligung der Arbeitgeberin nicht, sondern stellte Rückfragen und wählte eigene Formulierungen. Daraufhin erhielt sie eine Einladung zu einem Termin im Juni, in welchem ihr mitgeteilt wurde, dass ohne ihre Unterschrift unter die vorformulierte Datenschutzerklärung ein BEM-Verfahren nicht durchgeführt werden könne. Es kam diesbezüglich zu keiner Einigung; die Mitarbeiterin absolvierte ungeachtet dessen von Mitte September bis Ende Oktober eine stufenweise Wiedereingliederung. Im Dezember beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung zur Kündigung der Mitarbeiterin beim Integrationsamt. Im Mai 2020 erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung, woraufhin die Arbeitgeberin eine ordentliche Kündigung zu Ende 2020 aussprach. Die Arbeitnehmerin legte mit Verweis auf die fehlenden negative Gesundheitsprognose und soziale Rechtfertigung Kündigungsschutzklage ein, welche vom Arbeitsgericht abgewiesen wurde. Die Berufung beim Landesarbeitsgericht hingegen hatte Erfolg, woraufhin die Arbeitgeberin Revision begehrte.
Das BAG wies die Revision zurück und bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts: Die auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung sei unverhältnismäßig und damit sozial ungerechtfertigt. Die Arbeitgeberin habe nicht dargelegt und bewiesen, dass keine zumutbare Möglichkeit bestand, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden. Diese hätten in der Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder in der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz bestehen können. Insbesondere hätte die Arbeitgeberin der Mitarbeiterin ein BEM anbieten müssen, in dessen Rahmen man nach Weiterbeschäftigungsoptionen und nötigen Bedingungen hätte suchen können. Die Arbeitgeberin durfte die Einleitung eines BEM nicht von der Unterzeichnung der vorformulierten Datenschutzerklärung abhängig machen, zumal § 167 II Satz 4 SGB IX die schriftliche Zustimmung zur Verarbeitung von Gesundheitsdaten nicht als tatbestandliche Voraussetzung für die Durchführung eines BEM vorsehe, sondern vielmehr nur aus Transparenzgründen eine Hinweispflicht über Art und Umfang der im konkreten BEM zu verarbeitenden Daten für den Arbeitgeber darstelle.
Es sei der Arbeitgeberin im vorliegenden Fall auch ohne die verlangte Einwilligung möglich und zumutbar gewesen, mit dem beabsichtigten BEM zu beginnen. Die Arbeitgeberin hätte, da es sich beim BEM um ein konsensuales Verfahren handele, die diesbezüglichen Vorstellungen der Mitarbeiterin soweit möglich im Verlauf des Verfahrens berücksichtigen müssen.
Weiterhin bestätigte das BAG die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, dass der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts keine Vermutung dafür begründe, dass ein BEM die Kündigung nicht hätte verhindern können.
Während das Integrationsamt im Rahmen des Verfahrens nach §§ 168 ff. SGB IX die vom Arbeitgeber bereits gefasste Kündigungsentscheidung im Rahmen des Ermessens prüfe, stelle das BEM einen verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess mit dem Ziel der Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit dar, womit im Ergebnis insbesondere der Ausspruch einer Kündigung vermieden werden solle.