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8. Juni 2023, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hatte in einem Kündigungsschutzprozess auch über die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (SBV) zu entscheiden.
Der Fall: Eine Frau mit einem Grad der Behinderung von 50 nahm am 01.09.2021 eine Beschäftigung als Assistenz- und Vorzimmerkraft eines Amtsleiters im Amt für Mobilität bei einer Stadtverwaltung auf. Sie war seit Dezember des Jahres „durchgängig arbeitsunfähig“. Mit Schreiben vom 08.02.2022 beantragte die Stadt als Arbeitgeberin beim Personalrat die Zustimmung zu der beabsichtigten ordentlichen Kündigung während der Probezeit.
Eine Kopie dieser Personalratsanhörung übersandte die Arbeitgeberin an die SBV. Darin hieß es auszugsweise im Betreff und im Anschreiben: „Ihre Mitbestimmung gemäß … Personalvertretungsgesetz…Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung ..., als Anlage erhalten Sie eine Kopie des Schreibens an den Personalrat der Stadtverwaltung…“
Die Stadt kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2022. Die Frau erhob Kündigungsschutzklage.
Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hat ein Arbeitgeber die SBV in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Die ohne eine solche Beteiligung ausgesprochene Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist unwirksam (§ 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).
Das LAG hat in der Entscheidung ausgeführt, welche Anforderungen an eine wirksame Anhörung der SBV zu stellen sind:
Der Arbeitgeber hört die SBV ordnungsgemäß an, wenn er sie ausreichend unterrichtet und ihr genügend Gelegenheit zur Stellungnahme gibt (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 - 2 AZR 378/18 - Rn. 20).
Die Unterrichtung muss die SBV in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Die Unterrichtung ist inhaltlich nicht auf schwerbehinderten-spezifische Kündigungsbezüge beschränkt. Der Arbeitgeber muss den Sachverhalt, den er zum Anlass für die Kündigung nehmen will, so umfassend beschreiben, dass sich die SBV ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein Bild über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe machen und beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken zu erheben. Der Arbeitgeber muss die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben.
Die Anhörung geht über das bloße Unterrichten hinaus. Anhörung bedeutet, dem Angehörten Gelegenheit zur Äußerung zu geben und diese Äußerung entgegen-zunehmen sowie sich ggf. mit ihr auseinanderzusetzen. Der Angehörte muss erkennen können, dass ihm ermöglicht wird, etwas vorzubringen oder eine Stellungnahme abzugeben, die bei der Entscheidungsfindung zumindest bedacht wird. Unterrichten über einen bestimmten Sachverhalt beschreibt die Zuleitung von Informationen und Auskünften hierzu. Anhören heißt demgegenüber, einem anderen zuzuhören und dessen Erklärung, sei sie schriftlich oder mündlich, Aufmerksamkeit zu schenken.
Die Schreiben der Arbeitgeberin an die SBV wertete das LAG als reine Information über das Beteiligungsverfahren des Personalrats. Der Betreff des Schreibens bezog sich nur auf das Personalvertretungsgesetz, nicht auf das Sozialgesetzbuch IX. Dem Schreiben ließ sich nicht entnehmen, dass ein eigenständiges Beteiligungsverfahren der SBV eingeleitet werden sollte und die SBV sich inhaltlich zum Fall hätte äußern dürfen.
Das LAG urteilte, dass es hier an einer ordnungsgemäßen Anhörung der SBV fehlte und somit die Kündigung unwirksam war.
LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07.03.2023 – 5 Sa 127/22, Volltextveröffentlichung: https://www.iww.de/quellenmaterial/id/234795