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16. November 2023, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
In einem Prozess vor dem Braunschweiger Arbeitsgericht stritten eine Arbeitgeberin und ein Angestellter über die Rechtmäßigkeit einer ordentlichen, personenbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen. In dem Urteil wurde ebenfalls die Frage mitbewertet, ob auf Grundlage häufiger Kurzzeiterkrankungen eine negative Gesundheitsprognose getroffen werden könne und welche Anforderungen an ein ordnungsgemäßes BEM-Angebot gestellt werden könnten.
Der Angestellte hatte von seiner Arbeitgeberin zwei BEM-Angebote erhalten, auf die er nicht reagierte. Die Arbeitgeberin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis. Der Angestellte hielt die Kündigung für sozial nicht gerechtfertigt und daher unwirksam. Die Arbeitgeberin ging dagegen von einer negativen Gesundheitsprognose aus. Außerdem gab sie an, wegen der fehlenden Reaktion des Arbeitnehmers auf die BEM-Einladung keine Gelegenheit gehabt zu haben, nach milderen Mitteln als der Kündigung zu suchen.
Das Gericht stellte fest, dass die häufigen, aber kurzen Krankheitszeiten des Angestellten keine negative Gesundheitsprognose für die Zukunft zuließen. Es fehle an dem, vom BAG als maßgeblich angesehen, Referenzzeitraum von drei Jahren. Die Arbeitgeberin habe einen Referenzzeitraum von weniger als 1,5 Jahren angewandt, der laut BAG nur in begründeten Einzelfällen in Betracht komme – dies sei hier nicht der Fall gewesen.
Bezüglich des BEM kam das Gericht zu dem Schluss, dass das Angebot der Arbeitgeberin nicht als ordnungsgemäß angesehen werden konnte. Nach § 167 Abs. 2 SGB IX sei es die Pflicht der Arbeitgeberin, das Verfahren anzustoßen. Sie müsse dem Arbeitnehmer die Ziele des BEM und die darin beabsichtigte Datenverarbeitung in Art und Umfang aufzeigen. Der Hinweis erfordere eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über Bezugnahme zur Gesetzesgrundlage hinausgehe. Dem Arbeitnehmer müsse verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung gehe und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden solle, in das auch er Vorschläge einbringen könne. Daneben sei ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstelle, dass nur solche Daten erhoben würden, die erforderlich seien, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes BEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer müsse mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten – jeweils als personenbezogene Daten besonderer Kategorie i.S.v. Art. 9 Abs. 1 DS-GVO - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht würden. Nur bei entsprechender Unterrichtung könne vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines BEM die Rede sein. Wenn sich der entsprechend informierte Arbeitnehmer nicht auf das freiwillige BEM-Verfahren einlasse, verletze die Arbeitgeberin ihre Pflicht nicht.
Im vorliegenden Fall fehlte in dem Einladungsschreiben ein Hinweis darauf, dass der Betroffene darüber bestimmen könne, ob zu dem BEM-Verfahren der Betriebsrat bzw. einzelne Mitglieder hinzugezogen werden sollten (und dass dem auch widersprochen werden könne). Zudem erfüllte das Einladungsschreiben nicht die Anforderungen an die datenschutzrechtlichen Hinweise. In der Einladung wurde die Zweckbindung der Datenerhebung nicht erläutert. Das Einladungsschreiben ließ offen, welche (Gesundheit-)Daten im Rahmen des BEM zu welchem Zweck erhoben werden sollten und wer auf diese Daten hätte zugreifen können.
Aufgrund dieser Mängel im Einladungsschreiben habe die Arbeitgeberin nach Ansicht des Gerichts die Obliegenheit zur Durchführung eines BEM nicht erfüllt. Der damit verbundenen Darlegungs- und Beweislast, dass ein BEM nicht dazu hätte beitragen können, zukünftige Arbeitsunfähigkeiten zu verhindern und das Arbeitsverhältnis zu erhalten, sei sie nicht nachgekommen.
Aus dem beschriebenen Urteil lassen sich insbesondere zwei Aspekte festhalten: Aus häufigen Kurzzeiterkrankungen innerhalb eines geringen Referenzrahmens von unter drei Jahren lässt sich regelmäßig keine negative Gesundheitsprognose ableiten. Mängel in der Einleitung eines BEM-Verfahrens können dazu führen, dass eine personenbedingte Kündigung unverhältnismäßig ist.