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7. März 2024, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
Schon vor dem Einsetzen des gesetzlichen Kündigungsschutzes muss die arbeitgebende Person ein Präventionsverfahren (§ 167 Abs. 1 SGB IX) durchführen, wenn sich im Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Beschäftigten Probleme abzeichnen. Unterbleibt dies, kann eine darauf gestützte Kündigung wegen Diskriminierung unwirksam sein – so das Arbeitsgericht Köln.
Die arbeitnehmde Person war seit Anfang 2023 bei einer Kommune im Großraum Köln als „Beschäftigter im Bauhof“ zu einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 2.800,00 EUR nach Maßgabe des TVöD-VKA angestellt. Bei ihr war ein Grad der Behinderung von 80 anerkannt – unter anderem wegen eines frühkindlichen Hirnschaden (Einzel-GdB 50).
Die beschäftigte Person wurde zwischen dem 02.01. und 14.04.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt. Ende Mai 2023 erlitt sie beim Fahrradfahren einen Kreuzbandriss und fiel deshalb krankheitsbedingt längere Zeit aus. Im Juni 2023 hörte die kommunale arbeitgebende Person den Personalrat, die SBV und die Gleichstellungsbeauftragte zu einer beabsichtigten „Kündigung in der Probezeit“ der arbeitnehmenden Person an. Sie begründete dies damit, die Arbeitsleistung der beschäftigten Person habe nicht den Erwartungen entsprochen und sich auch nicht ausreichend ins Team eingefügt.
Nachdem keine Stelle Einwände erhob, erhielt die mitarbeitende Person am 22.6.2023 eine ordentliche und fristgerechte Kündigung zum 31.07.2023.Dagegen wehrte sie sich mit einer Kündigungsschutzklage.
Das Arbeitsgericht Köln entschied, die Kündigung verstoße gegen gesetzliche Diskriminierungsverbote und sei daher rechtsunwirksam (gemäß § 134 BGB iVm. § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Die Kommune war über die Schwerbehinderung informiert. Sie habe es dennoch versäumt, die schwerbehinderte mitarbeitende Person in der Probezeit besser zu unterstützen.
Arbeitgebende seien auch schon während der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen, wenn und sobald ihnen bei einem bekanntermaßen schwerbehinderten Beschäftigten Probleme in der Arbeitsleistung oder in der Zusammenarbeit im Team bekannt werden.
Das Gericht griff den Hinweis des Klägers auf, dass der Europäische Gerichtshof bereits 2022 entschieden habe, dass Arbeitgebende vor einer Probezeit-Kündigung von schwerbehinderten Beschäftigten für diese alternative Einsatzmöglichkeiten prüfen müsse (vgl. EuGH 10.2.2022 – C-485/20). Dies sei der kommunalen Arbeitgebenden auch zumutbar.
Da diese Bemühungen hier unterblieben seien, habe die arbeitgebende Person gegen ihre Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen verstoßen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, so das ArbG Köln, begründe der Verstoß der arbeitgebenden Person gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Diese Pflichtverletzungen seien nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (BAG, 14.6.2023 – 8 AZR 136/22).
Insgesamt ist stellt die Kündigung daher aus Sicht des Gerichts eine Diskriminierung des Klägers wegen seiner Behinderung dar. Dieser Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter (§ 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) macht die Kündigung rechtsunwirksam gemäß § 134 SGB IX.
Quelle: Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 20.12.2023 - Az. 18 Ca 3954/23
Hinweis für die Praxis
Das Arbeitsgericht Köln greift als eins der ersten Gerichte die Grundsatzentscheidung des EuGH zu den erhöhten Anforderungen an die Kündigung einer schwerbehinderten beschäftigten Person in der Probezeit auf (EuGH 10.2.2022 – C-485/20). Es ist auch sachgerecht und zumutbar, dass gerade eine öffentliche arbeitgebende Person, der die Schwerbehinderung der neu eingestellten mitarbeitenden Person kennt, auch in der Wartezeit die Dinge nicht einfach laufen lässt, sondern sich von Anfang an aktiv um dessen Inklusion bemüht.