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28. Juni 2024, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
Arbeitsgericht Aachen, Urteil vom 12.03.2024 – 2 Ga 6/24:
Ein langjähriger Beschäftigter war zuletzt als Verkaufs- und Vertriebsleiter bei einer Firma für Dach und Fassade tätig. Diese Tätigkeit beinhaltete auch das Überwachen der Arbeiten und des Baufortschritts. Ein Jahr vor Erreichen des Renteneintrittsalters (Oktober 2024) erkrankte er schwer, wurde aber erfolgreich therapiert und erhielt im Januar 2024 den Status eines schwerbehinderten Menschen.
Die behandelnde Hausärztin befürwortete eine stufenweise Wiedereingliederung in die letzte Tätigkeit und stellte am 07.02.2024 einen ersten Wiedereingliederungsplan auf. Der Beschäftigte bat um Zustimmung zur Durchführung dieser Maßnahme. Der Arbeitgeber lehnte die Maßnahme mit Schreiben vom 22.02.2024 ab.
Daraufhin erstellte die Hausärztin einen neuen Wiedereingliederungsplan, beginnend ab dem 15.03.2024. Der Arbeitgeber lehnte erneut ab. Daraufhin beantragte der Beschäftigte beim zuständigen Arbeitsgericht erfolgreich eine einstweilige Verfügung, den Wiedereingliederungsplan umzusetzen.
Das Gericht entschied, dass sich vorliegend der Anspruch des Beschäftigten auf Umsetzung einer stufenweisen Wiedereingliederung aus § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX ergebe. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht bestünde zwar grundsätzlich kein Anspruch auf Mitwirkung des Arbeitgebers an einer stufenweisen Wiedereingliederung des Arbeitnehmers in das Erwerbsleben, insbesondere ergebe sich ein solcher Anspruch nicht aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis. Vielmehr sei das Wiedereingliederungsverhältnis ein Vertragsverhältnis eigener Art (sui generis), zu dessen Begründung es einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedürfe, wobei für beide Seiten das Prinzip der Freiwilligkeit gelte.
Etwas anderes gelte jedoch, wenn es um die stufenweise Wiedereingliederung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Beschäftigten in das Erwerbsleben ginge. In einem solchen Fall könne der Arbeitgeber nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX verpflichtet sein, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben mitzuwirken und eine schwerbehinderte oder gleichgestellte behinderte Person entsprechend den Angaben im ärztlichen Wiedereingliederungsplan zu beschäftigen.
Der Anspruch auf Beschäftigung nach dieser Maßgabe im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung setze allerdings voraus, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorlegt, aus der sich Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, Beschäftigungsbeschränkung, Umfang der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit sowie die Dauer der Maßnahme ergeben. Die Bescheinigung müsse eine Prognose enthalten, wann voraussichtlich die Wiederaufnahme der Tätigkeit erfolge. Die ärztliche Bescheinigung müsse ordnungsgemäß nach den Vorschriften des Sozialrechts erstellt sein und dem Arbeitgeber hinreichend deutlich machen, dass mit dem Wiedereingliederungsplan auch eine betrieblich nutzbare Tätigkeit wiedererlangt werden könne.
Sowohl die Feststellung von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als auch die Empfehlung zur Wiedereingliederung knüpfen an die vom Arbeitnehmer bisher ausgeübte Tätigkeit an. Davon ausgehend setze die Empfehlung zur stufenweisen Wiedereingliederung zunächst die Beurteilung voraus, der Arbeitnehmer sei (weiterhin) arbeitsunfähig. Hinzukommen müsse die Einschätzung, dass die arbeitsvertragliche Tätigkeit teilweise verrichtet werden könnte und schließlich müsse der Arzt die Prognose treffen, dass eine stufenweise Heranführung des Arbeitnehmers an die berufliche Belastung seine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben fördere. Dabei müsse sich die Prognose nicht zwingend auf das Ziel der Wiederherstellung der vollen Arbeitstätigkeit richten, auch wenn dies regelmäßig verfolgt werde. Auch die Befähigung zu einer nach Art, Dauer, zeitlicher und räumlicher Lage veränderten Arbeitstätigkeit könne stufenweise Eingliederung in das Erwerbsleben sein.
Auf eine Mitwirkung an einer nur therapeutischen Erprobung, ohne dass in absehbarer Zeit das "ob" und "wie" einer möglichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ersichtlich wären, bestünde kein Anspruch.