Sie können max. 10 Favoriten hinterlegen.
Bitte löschen Sie einen, bevor Sie einen weiteren hinzufügen.
19. Februar 2025, von Schwerbehindertenvertretung der Universität Hamburg (ohne UKE)
Das Thüringer Landesarbeitsgericht (LAG) hat in einem Urteil Indizien für eine Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung aufgelistet, die sich bei einer Ablehnung einer schwerbehinderten, sich bewerbenden Person aus der Verletzung von Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen ergeben können. Das Gericht hat zahlreiche Verstöße des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, festgestellt. Solche Verstöße können nach der Rechtsprechung regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung begründen und damit einen Entschädigungsanspruch des Bewerbers nach sich ziehen.
In dem Fall vor dem LAG hat sich ein Bauingenieur mit Schwerbehinderung auf eine ausgeschriebene Stelle bei einer GmbH beworben. In seinem Anschreiben wies er deutlich auf seine Schwerbehinderung hin. Er erfüllte unbestritten die Qualifikationsanforderungen. Der Ingenieur wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Er erhielt eine Absage. Daraufhin machte er eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderung geltend. Nach dem AGG genügt es, wenn Indizien vorliegen, die für sich allein betrachtet oder in einer Gesamtschau mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass zwischen der Absage und der Schwerbehinderung ein Zusammenhang besteht. Diese Pflichtverletzungen sind nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, dass der Arbeitgeber an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen kein Interesse hat.
Den ersten Verstoß hat das Gericht darin gesehen, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Bewerbung des schwerbehinderten Menschen nicht, wie in § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX vorgeschrieben, unmittelbar nach Eingang unterrichtet hat. Eine Schwerbehindertenvertretung (SBV) existierte nicht. Eine angeblich mehrere Wochen später erfolgte Information an den Betriebsrat hat das Gericht nicht als unmittelbar angesehen.
Der nächste Verstoß betraf die Erörterungspflicht nach § 164 Abs. 1 Satz 7 SGB IX. Der Arbeitgeber erfüllte nicht die Beschäftigungsquote nach § 154 Abs. 1 SGB IX, sodass möglicherweise eine Erörterung der Ablehnungsentscheidung mit dem Betriebsrat erforderlich war. Das Gericht verlangte konkrete Angaben zu Form und Inhalt der Unterrichtung des Betriebsrates, zu der durchgeführten Erörterung und zu der genauen Art und Weise des angeblichen Einverständnisses des Betriebsrates mit der Ablehnung des schwerbehinderten Bewerbers. Vor Gericht hat der Arbeitgeber nicht ausreichend vorgetragen und daher hat das Gericht einen Verstoß gegen die Erörterungspflicht angenommen.
Ein weiterer Verstoß wurde vom Gericht angenommen, weil der Arbeitgeber nichts zu der Prüfung, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können, zur Aufnahme der Verbindung mit der Agentur für Arbeit nach § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und zur Beteiligung des Betriebsrates bei dieser Prüfung nach §164 Abs. 1 Satz 6 SGB IX vorgetragen hat.'
Die Nichterfüllung der Mindestbeschäftigungsquote nach § 154 Abs. 1 SGB IX ist zwar für sich genommen kein Indiz für eine Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung, aber das Gericht hat es in der Gesamtschau zulasten des Arbeitgebers mitberücksichtigt.
Im vorliegenden Fall konnte der Arbeitgeber den Gegenweis erbringen, dass ausschließlich andere Gründe als die Schwerbehinderung zu der Ablehnung des Bewerbers geführt haben. Das Urteil zeigt dennoch, dass weiterhin Arbeitgeber ihre Förderungs- und/oder Verfahrenspflichten aus dem Schwerbehindertenrecht entweder gar nicht kennen oder nicht ernst nehmen.
Quelle: https://landesrecht.thueringen.de/perma?d=NJRE001576118