Pandemiegeschichten austauschen ist ein Beitrag zur Pandemieauswertung – Und wie war es vor der Pandemie? – Wie war da ihre Zusammenarbeit?
Ein Beitrag von Sonja Nielbock
Christian Drosten meldet sich Mitte März zu Wort nach langer Zeit und plädiert nun dafür, die Pandemie auszuwerten. Ich überlege schon länger, ob es Organisationen gut tut, sich zu fragen, wie hat die Pandemie in jedem Team die Einzelnen und unser Miteinander verändert?!
In Gesprächen antworten einige, die Pandemie ist vorbei und wir haben andere Themen und Probleme zu bewältigen. Viele wollen nach vorne sehen und da passt die Frage, was die Pandemie verändert hat, nicht zu.
Pandemiegeschichten austauschen ist ein Beitrag zum Thema Pandemieauswertung. Als betriebliche Konfliktberaterin geht es mir darum, Sichtweisen zu hören, ohne diese zu bewerten und eine Pandemieauswertung zu unterstützen, die nicht spaltet und neue Konflikte bringt.
Und wie war es vor der Pandemie?
Seit ein paar Jahren stelle ich intuitiv die Frage „Und wie war es vor der Pandemie?“ Es scheint eine relevante Analysefrage in betrieblichen Konflikten geworden zu sein.
Selten spielen die Pandemie und ihre Folgen keine Rolle. Typische Antworten sind: „Wir haben uns gut verstanden, es war eine vertraute Zusammenarbeit.“ Oder auch: „Meine Kollegin hat sich verändert!“, seltener als „Auch ich habe mich verändert.“ Oder „Naja wir sehen uns selten, es gibt einfach wirklich wenige Begegnungen vor Ort, wenig spontanen informellen Austausch“.
„Ja – diese Konflikte sind im Zuge der Veränderungen, dass wir uns seltener direkt begegnen entstanden.“ sagte gerade eine Vorgesetzte.
Vielleicht hat sich meine Frage auch entwickelt, da ich in den Konfliktgeschichten fast immer höre „Und dann kam die Pandemie…“
In der Arbeit redeten Menschen mit mir unter meiner Schweigepflicht, deshalb habe ich vermutlich auch andere Pandemiegeschichten gehört.
Mein Beitrag in betrieblichen Diskussionen war die Frage nach dem Preis der gut bewältigten Pandemie. Es läuft doch alles gut, hörte ich. Im Ausnahmemodus haben sich viele gut arrangiert, vermutlich haben einige im digitalen und Homeoffice Modus noch mehr geleistet. Gleichzeitig vermute ich haben andere sich mehr entfernt von der Organisation, den Kolleg:innen und sich mehr dem privatem Bereich zugewandt. Das alles ist nicht schlimm, nur anders und es hat Wirkungen. Diese Wirkungen und Auswirkungen erleben wir in den aktuellen Konflikten.
Der Preis kann unterschiedlich beschrieben werden: Erschöpfung, mentale Gesundheitsprobleme, die mögliche Verringerung der Ressource Kollegialität, die guten Wirkungen von Arbeitskolleg:innen, aber auch die Identifikation mit der Organisation und das Engagement für diese. Was motiviert mich über meinen Zuständigkeitsbereich hinaus lösungsorientiert für die Organisation zu handeln? Sind es nicht oft Kolleg:innen, die wir unterstützen wollen, sei es aus Solidarität und Gegenseitigkeitserwartung? Sei es, weil Sympathie und Wertschätzung eine Rolle spielen.
Konflikte nach der Pandemie
Aus Sicht der Konfliktberatung hat sich Zusammenarbeit verändert. Konflikte werden anders ausgetragen und anders wahrgenommen.
Ein Beispiel: Es gab Konflikte im Teammeeting. Die Konfliktbeteiligten gehen sich nicht nur aus dem Weg, um den unangenehmen Begegnungen aus dem Weg zu gehen. Sie arbeiten dann vermehrt im Homeoffice. Die E-Mail-Kommunikation führt in solch einem Fall nicht selten zur Verschärfung der Situation.
Konflikte kennzeichnen sich in zunehmender Eskalation dadurch, dass sich der Blick verengt und wir davon überzeugt sind, dass unsere Wahrnehmung der Situation die richtige ist.
Wenn wir nach dem Teammeeting das Büro verlassen und erst eine Woche später in einen nicht digitalen Kontakt treten, können sich einfache Klärungen erschweren.
Wie viele Meinungsverschiedenheiten, kleine Konflikte konnten vorpandemisch, sich schnell im Flur, auf dem Weg in die Teeküche oder zum Mittagessen oder im Türrahmen klären. „Wie hast du eben XY gemeint? — Ach so, da habe ich dich anders verstanden, alles gut.“
Es gibt so viele Auswertungsebenen: Ich würde mich über einen Austausch und Rückmeldungen zu postpandemischen betrieblichen Konflikten freuen!